Mittwoch, 1. Januar 2020
Keine Branche ist so sehr von der Aufhebung des Euro-Mindestkurses betroffen wie das Gastgewerbe. Während viele Industriebetriebe nun wenigstens gewisse Vorleistungen im Ausland günstiger einkaufen, fallen unsere Kosten fast ausschliesslich in Franken an: Die Löhne, die Mieten und sogar die Waren. Solange wir keine echte Einkaufsfreiheit haben, sind wir Importeuren und Produzenten ausgesetzt, die ihre Währungsgewinne einbehalten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Viele
wollen es nicht wahrhaben, aber namhafte Teile unserer Wirtschaft befinden sich
in einer Krise – oder auf dem Weg dorthin. Die Politik hat sich jetzt um die
"wirklichen" Probleme zu kümmern. Ohne parteiübergreifenden
"Pakt für die Schweiz" verschwindet in unserem Land eine
sechsstellige Zahl von Arbeitsplätzen.
Mit 210'000 Beschäftigten ist das Schweizer Gastgewerbe einer der
wichtigsten Arbeitgeber im privaten Sektor. In den letzten sechs Jahren ging
allerdings jeder neunte Arbeitsplatz verloren, obwohl im gleichen Zeitraum die
Wohnbevölkerung um fünf Prozent zulegte.
Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Gastgewerbes ist es schlecht bestellt. Natürlich gibt es wie in jeder Branche
Unternehmer, die ihre Hausaufgaben nicht erledigen und deshalb eine Mitschuld
tragen. Um diese geht es nicht: Sorgen bereitet uns, dass vermehrt auch
Gastronomen und Hoteliers ums Überleben kämpfen, die ihre Betriebe
professionell führen.
Hausaufgaben für Unternehmer und Politiker
Die enorme Frankenstärke hat Probleme akut werden lassen, die schon länger
bestehen. So ist zum Beispiel die Zahl der Hotelübernachtungen im
alpinen Raum trotz Euro-Mindestkurs und Mehrwertsteuer-Beherbergungssatz innert
weniger Jahre um 15 Prozent zurückgegangen. Zwar ist die Stadthotellerie in
besserer Verfassung, doch im Vergleich zu ausländischen Konkurrenzdestinationen
ist die Dynamik gering.
Durch die Aufgabe des Mindestkurses wurden Aufenthalte in der Schweiz für
Reisende aus dem Euroraum auf einen Schlag nochmals 20% teurer. Unsere
Berufskollegen im Ausland sind nicht schlechter als wir, aber einfach viel
billiger! Weil immer mehr Schweizer ihre Ferien im Ausland verbringen und immer
weniger Personen aus dem Euroraum bei uns übernachten, verliert die Tourismusbranche mehrere Milliarden Franken Umsatz pro Jahr.
Das ist noch nicht alles: Durch den Gastronomietourismus, also
grenzüberschreitende Verzehrfälle im Rahmen von Tagesreisen, fliessen jährlich
gegen vier Milliarden Franken Kaufkraft ins Ausland ab! Nun sind alle Dämme
gebrochen: Das spürt unsere Branche bis weit ins Landesinnere.
Die Arbeitskosten pro Stunde in der Schweizer Tourismusbranche waren
schon zum Kurs von 1.20 doppelt so hoch wie in Österreich. Mit dem tieferen
Euro sind die Differenzen für eine Branche, die fast 50 Prozent Personalkosten
aufweist, unerträglich geworden. Deshalb werden die Arbeitnehmer einen Beitrag
zur Sicherung ihrer Stellen leisten müssen.
Ob unter diesen Umständen an der Sozialpartnerschaft festgehalten werden
kann, ist ungewiss. Auch wenn wir es möglichst vermeiden möchten, unsere
Mitarbeiter die Zeche zahlen zu lassen, denn sie leben – mit Ausnahme der
Grenzgänger – in der Hochpreisinsel Schweiz.
Letztere wiederum ist für uns vor allem eine Hochkosteninsel: Wir müssen
zu internationalen Preisen wettbewerbsfähig sein, aber zu hohen Schweizer
Kosten produzieren. Kein Wunder, zehren die meisten Betriebe seit langem von
der Substanz. Wo es keine Mäzene gibt, verschärft sich der Investitionsstau.
Das kann auf die Dauer nicht gut gehen!
Nicht nur Unternehmer müssen
ihre Hausaufgaben erledigen, sondern auch die Politik. Diese hat jetzt rasch
und entschieden zu handeln. Damit meinen wir nicht ein Konjunkturprogramm, das
gleich verpufft und möglicherweise bei den Falschen ankommt. Nein, jetzt gilt
es endlich, dringend notwendige Reformen und Marktöffnungen voranzutreiben.
Protektionistische und wettbewerbsfeindliche Tendenzen
Die Grenzen der Selbstausbeutung sind schon lange überschritten. Eine
realistische Überlebenschance haben viele Gastronomen und Hoteliers nur, wenn
die Einkaufspreise von Lebensmitteln und Nonfood-Artikeln drastisch
sinken. Das wäre auch problemlos möglich, würde es nicht durch staatliche
und private Hürden verhindert.
Könnte das Schweizer Gastgewerbe seine Vorleistungen im Agrar- und
Nahrungsmittelbereich zu Preisen wie in Österreich einkaufen, hätte dies
bei einer Kursparität zum Euro eine Ersparnis von 1.5 Milliarden Franken zur
Folge. Es kann doch nicht sein, dass eine Branche, die nicht auf Rosen gebettet
ist, die Landwirtschaft mit solchen Summen verdeckt subventioniert.
Wir würden sehr gerne Schweizer Lebensmittel einkaufen, aber bitte zu
Wettbewerbspreisen. Wie die Beispiele Wein und Käse zeigen, können einheimische
Produkte problemlos etwas teurer sein und dennoch guten Absatz finden.
Beim Fleisch bezahlen Schweizer Wirte aber oft das Doppelte oder gar
Dreifache wie ihre Berufskollegen im benachbarten Ausland. Beim Gemüse ist es
je nach Jahreszeit sogar das Fünffache. Tiefkühl-Pommes kosten bei uns, auch wenn
die meisten Kartoffeln aus Holland kommen, das Vierfache!
In der Wirtschaftspolitik machen sich seit Jahren marktabschottende,
protektionistische und wettbewerbsfeindliche Tendenzen bemerkbar. Die
Verhandlungen über einen Agrarfreihandel mit der EU wurden gestoppt, beim
Fleischimport wurde auf "Inlandleistung" umgestellt und nun gibt es
auch noch Bestrebungen, Lebensmittel vom Cassis-de-Dijon-Prinzip auszunehmen.
Nicht zuletzt lassen Volksinitiativen der Bauern und der Grünen grüssen. Und die
Kartellgesetzrevision ist gescheitert.
Faktisch sind wir gezwungen, die meisten Güter im Inland zu kaufen. Eine
parlamentarische Initiative von Ständerat Hans Altherr will der überrissenen
Kaufkraftabschöpfung durch ausländische Unternehmen einen Riegel schieben. Der
faktische Beschaffungszwang im Inland – ein privates Handelshemmnis –
soll aufgehoben werden.
Krass missbräuchliche "Schweiz-Zuschläge" vermindern unsere
Wettbewerbsfähigkeit. Das wirkt sich auf die Ertragslage und die Löhne sowie
letztlich auf die Zahl der Arbeitsplätze negativ aus. Überhöhte Importpreise
haben auch zur Folge, dass viel Kapital zu den Lieferanten ins Ausland
abfliesst. Die NZZ nannte dies einmal die "andere Abzockerei". Wir
werden im Gegensatz zur ausländischen Konkurrenz gezwungen, ineffizient zu
wirtschaften!
Unser Ziel ist es nicht, dauerhaft im Ausland einzukaufen, sondern dafür zu
sorgen, dass in der Schweiz Wettbewerbspreise zustande kommen. Dann
kaufen wir liebend gerne wieder hier ein. Wenn die Eidgenössischen Räte in
dieser Sache nicht vorwärts machen, unterstützen wir die Lancierung einer
Volksinitiative gegen die Preistreiberei der Konzerne.
Selbstredend müssen auch staatliche Hürden abgebaut werden. Die technischen Handelshemmnisse sind ein grosses Ärgernis. Auf teure Sonderwünsche bei den
Produktedeklarationen ist verzichten. Produktezulassungen sind zu erleichtern.
Und wann wird unser Zollsystem an internationale Gepflogenheiten angepasst?
In Zukunft sind alle in den Nachbarländern legal erhältlichen Produkte generell
und ohne Ausnahmen auch in der Schweiz zuzulassen! Es würde auch viel helfen,
wenn der Nachweis der EU-Verzollung für eine vereinfachte Verzollung an der
Schweizer Grenze genügte und die Rechnung eines europäischen Importeurs als
Nachweis des Ursprungszeugnisses für einen Schweizer Händler gälte.
Auf teure Swiss-Finish-Regelungen, z.B. in der Luftreinhaltung, beim
Gewässerschutz, bei Bau- und Sonderabfällen, ist zu verzichten. Die Baunormen
müssen harmonisiert werden. Auch sonst gibt es viel Spielraum, Regulierungskosten endlich abzubauen.
Ganz dringend muss die Marktöffnung im Agrarbereich vorangetrieben
werden. Wir schlagen deshalb vor, in einem ersten Schritt die "weisse
Linie" zu öffnen sowie Fleischimporte durch eine Ausweitung der
Importkontingente und eine Halbierung der Schutzzölle zu erleichtern.
Eine Senkung der Zölle würde als Vorleistung für die WTO anerkannt.
Marktöffnungen würden den Weg für wichtige Freihandelsabkommen öffnen,
z.B. mit Brasilien und den Vereinigten Staaten. Das Freihandelsabkommen
zwischen der EU und den USA wird enorme Auswirkungen mit sich bringen:
Warten wir weiter zu, gibt es einen Riesenknall!
Unser Anliegen, wenigstens bei der Mehrwertsteuer für
Gerechtigkeit zu sorgen, wurde vom Bundesrat und vom Parlament bekämpft. Aus
Angst, Brot und Butter im Laden könnten ein paar Rappen teurer werden, hat auch
das Volk deutlich Nein gesagt zur Volksinitiative "Schluss mit der
MwSt-Diskriminierung des Gastgewerbes". Dennoch sei es hier erwähnt: Ein
tiefer Einheitssatz würde unserem Land enorm gut tun.
Subventionen als Alternative
Werden obige Vorschläge umgesetzt, werden wir wieder zu einer
prosperierenden Branche. Es gibt aber auch einen anderen, uns weniger
sympathischen Weg: Subventionen für das Gastgewerbe und die gesamte Tourismusbranche.
Das kann geschehen, indem man uns analog der Exportwirtschaft einen Nullsatz
bei der Mehrwertsteuer gewährt.
Als so oder so sinnvoll erachten wir eine temporäre Erhöhung der Mittel für Schweiz
Tourismus. Der Marketingorganisation würde es so ermöglicht, neue
Zielmärkte zu entwickeln und die Aktivitäten in den traditionellen
Märkten auszubauen, damit die Zahl der europäischen und inländischen
Touristen zumindest nicht weiter sinkt.
Die Lage ist sehr ernst, aber nicht hoffnungslos: Die Politik hat
es in der Hand, das Ruder herumzuwerfen. Das geschieht nicht, indem wir
in dieser schwierigen Zeit über Frauenquoten, eine Lohnpolizei und
Plastiksackverbote diskutieren. Die Hochpreisinsel ist zu schleifen, denn sie
ist der Hauptgrund dafür, dass unser Gastgewerbe international nicht mehr
wettbewerbsfähig ist.
Maurus Ebneter
15.02.2015
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